ENTKERNT
- S.22- 30
4 APRIL
Entkernt
Umbau eines Schlosses zum Archiv- und Museumsgebäude
Vom Schlosshof aus betrachtet, erinnerte Schloss Freudenstein im sächsischen Freiberg aufgrund seiner kleinen Fenster eher an einen Speicher als an ein herrschaftliches Haus aus der Renaissance. Die Wahrheit liegt - wie so oft - in der Mitte, und diese in Jahrhunderten gewachsene Mitte wollte das Berliner Büro AFF Architekten bei seinem Umbauentwurf unbedingt erhalten. Dies ist gelungen: Bald werden das Sächsische Bergarchiv und eine private Mineraliensammlung in das Schloss einziehen, dass seine wechselvolle Geschichte auch nach dem Umbau immer noch erzählen kann.
Schloss Freudenstein wurde auf Anweisung des sächsischen Kurfürsten August von Sachsen von 1566 bis 1577 auf den Grundmauern einer romanischen Schutzburg als vierflügelige Renaissanceanlage errichtet. Die prachtvolle Innenausstattung wurde allerdings im Sieben- jährigen Krieg (1756 bis 1763)
vollständig vernichtet, woraufhin das stets stiefmütterlich behandelte Schloss noch zügiger verfiel. 1784 erhielt schließlich das Militär die marode Anlage, woraufhin der Umbau zum Magazin begann: An den Außenfassaden ersetzten bald kleinformatige Speicherfenster die großen Renaissancefenster, während innen niedrige Speichergeschosse in einfacher Holzbauweise Einzug hielten. Schloss
Freudenstein war zwar auch nach diesem Radikalumbau durch die Anordnung und die Kubatur seiner Gebäudeteile noch als Schloss zu erkennen, präsentierte sich innen jetzt jedoch als schnödes militärisches Lagergebäude - und dies sollte über 200 Jahre lang so bleiben.
Architektenwettbewerb
Zuletzt wurde Schloss Freudenstein von 1957 bis 1979 von der örtlichen LPG als Getreidespeicher genutzt. Danach stand das „Speicherschloss“ leer und wurde schließlich 2004 in einem mittlerweile überaus bedauerlichen Zustand von der Stadt Freiberg erworben. Die schrieb noch im selben Jahr den begrenzt offenen, internationalen Architektenwettbewerb “ Sanierung und Umbau der Schlossanlage Freudenstein für das Bergarchiv und die Mineralogische Sammlung“ aus, in dessen Rahmen letztendlich 40 Architekturbüros ihre Entwürfe einreichen durften. Am 28. Januar 2005 hatte sich das Preisgericht unter dem Vorsitz der Berliner Architektin Prof. Hilde Léon für den Vorschlag des Berliner Büros AFF Architekten entschieden, und zwar vor allem aus zwei Gründen: Zum einen hatte das von den Brüdern Martin und Sven Fröhlich geführte Büro die verschiedenen Nutzungen (Bergarchiv/Mineraliensammlung/Gastronomie/Nebenräume) klar zu den einzelnen Flügeln zugeordnet und war dabei zum anderen in der historischen Kubatur der Schlossanlage geblieben - von zwei kleinen, eingeschossigen Funktionsanbauten einmal abgesehen. Sicher wird die Jury aber auch der Einfallsreichtum und der gestalterische Mut des jungen Büros imponiert haben, denn im Kirchenflügel sah der Entwurf für das Sächsische Bergarchiv ein „Haus im Haus“ vor, einen monolithischen Block aus dunkelgrau eingefärbtem Beton, der sich durch sogenannte „Hutzen“ weithin sichtbar in den kleinen Speicherfenstern der Natursteinfassade verankert und diese damit stabilisiert. „Wir fanden die Kombination Schlossanlage und Speichernutzung sofort sehr spannend und wollten daher so viel wie möglich davon erhalten“, erklärt Projektleiter Martin Fröhlich. „Die hölzernen Speicherbodenkonstruktionen im Kirchenflügel waren für ein Archiv jedoch vor allem klimatisch völlig ungeeignet, weshalb wir uns entschieden haben, hier wie schon beim Speicherumbau 1784 innen brutal einzugreifen, die Fassade jedoch in ihrem Zustand zu belassen.’« Der neue Archivkörper im Kirchenflügel ist von außen nur durch die zahlreichen Hutzen zu erkennen, mit denen die Architekten die neuen Betonwände mit den alten Natursteinwänden verbanden.
Umbau des Kirchenflügels zum Staatsarchiv
Vor dem Einbau des neuen Archivkörpers musste der Kirchenflügel jedoch zuerst einmal entkernt und die alte, marode Dachkonstruktion entfernt werden. „Da wir aufgrund der geringen Bauzeit von nur zwei Jahren jedoch keine aufwendige Stützenkonstruktion zur Aussteifung aufstellen konnten, mussten die Handwerker den Kirchenflügel etappenweise entkernen“, erklärt Martin Fröhlich. Dazu wurde die Grundfläche in fünf Abschnitte zoniert, drei davon entkernt, in den beiden dazwischen jedoch die Holzkonstruktion zur Aussteifung stehengelassen. In den drei zuerst entkernten Zonen begannen die Handwerker dann im Keller mit den Betonierarbeiten des Archivkörpers, der seine Lasten über drei Betonfüße in den Untergrund ableitet (siehe Modell des Betonkörpers auf Seite 27 unten).
Sobald die drei Betontürme die Natursteinaußenwände ausreichend abstützen konnten, wurden auch die restlichen Holzbalken entfernt und mit den Betonierarbeiten auf der vollen Grundfläche fortgefahren. Da schon vor Beginn der Bauarbeiten feststand, dass eine Sichtbetonoberfläche des Archivkörpers die seitens des Bauherren auf 27 Millionen Euro gedeckelten Baukosten deutlich gesprengt hätte, gaben die Architekten den Handwerkern erst gar kein Schalbild vor. Stattdessen wurde der Beton mit anthra- zitfarbenen Pigmenten eingefärbt und nach dem Ausschalen in alter Bergbautradition scharriert. Dabei wird die Oberfläche des Betons in Handarbeit gebrochen, so dass die Zuschlagstoffe freigelegt werden (gut zu sehen auf Seite 27 oben). Eine ebenso einfache wie ungewöhnliche Oberflächenbehandlung, die zudem die Bergbaugeschichte der Region aufgreift und weiterhin eine deutlich interessantere Oberfläche ergibt als der in Architektenkreisen sehr in Mode gekommene Sichtbeton.
„Die Hutzen zeigen draußen an, dass innen etwas passiert ist“, beschreibt Projektleiter Martin Fröhlich eine weitere, neben der statischen Anbindung zwischen neuem Archivkörper und alter Außenwand, ebenfalls nicht unerheblichen Funktion der auffälligen Betonfertigteile. „Die Leute stehen davor und fragen nach dem Sinn. Das ist genau, was wir wollten: Aus einer statischen Notwendigkeit wird Öffentlichkeitsarbeit fürs Sächsische Staatsarchiv.“ jede Hutze besteht aus zwei Betonfertigteilen. Das größere wurden jeweils auf der Innenseite in die Bewehrung des Archivkörpers eingeflochten und mit diesem vergossen. Das kleinere Fertigteil, das von außen zu sehen ist, verbanden die Handwerker durch eine biegesteife, mit druckfestem Styrodur ausgedämmte Edelstahlverschraubung, wobei das Styrodur für die thermische Trennung der beiden Betonelemente sorgt. Der Anschluss der Hutzen an das Natursteinmauerwerk erfolgte über ein vertikales, bewegliches Auflager, so dass die Horizontalkräfte (Windlasten) aus der Fassade über die Hutzen in den Archivkörper eingeleitet werden können. Dazu brachten die Handwerker auf jeder Brüstung im Kirchenflügel einen Stahlbetonbalken an, der wiederum einen Metalldorn aufnimmt. Dieser Metalldom bildet das bewegliche Auflager für die Hutzen aus.
Ab Mai 2008 werden im neuen Archivkörper auf ins- gesamt vier Etagen 4500m Akten und Amtsbücher, 65 000 bergmännische Kar- ten, Pläne und Risse, 26000 Fotos sowie 19 000 wertvolle historische Bücher fachgerecht archiviert und verwaltet. Dafür stehen auf den vier Etagen 270 Rollregale zur Verfügung. Unter diesem Archiv, im Erdgeschoss, wo sich früher einmal die Schlosskapelle befunden hatte, gibt es nun ein Präsentationsfoyer sowie einen Lesesaal. Auf dem Archivkörper hingegen fand im neuen Dachstuhl die gesamte Haustechnik Platz. Die rekonstruierten Fledermausgauben boten sich dort als Abluftöffnungen an. Der große Turm grenzt sowohl an den Kirchenflügel als auch an das Torhaus an (siehe Grundrisse auf Seite 29) und gehört heute als Versammlungsgebäude ebenfalls zum Sächsischen Bergarchiv.
Hier waren einst die Gemächer des Kurfürsten untergebracht, gleichsam finden sich im Erdgeschoss aber auch die ältesten Speicherstrukturen der gesamten Anlage. Heute gibt es hier ein zentrales Foyer als Atrium, um den Besuchern des Archivs einen Einblick in den Prozess des Archivierens zu geben. Umbau des Langen Hauses zur Mineraliensammlung. Nach der Entscheidung, den Kirchenflügel für den Archivkörper zu entkernen, hätten die Architekten die Speicherkonstruktion im Langen Haus am liebsten komplett erhalten. Leider erwies sich dieses Ziel auch hier als un- möglich, da der Bauherr die großzügige Raumkubatur der Renaissance wiederherstellen wollte. So gelang es auch im Langen Haus lediglich, drei Speicherachsen über die volle Gebäudehöhe, also rund 25 Prozent der Grundfläche, zur Dokumentation dieses Teils der Schlossgeschichte zu erhalten.
Neben der Holzkonstruktion weisen auch die kleinen Speicherfenster weiterhin auf die langjährige Nutzung der Anlage als Magazin und Getreidespeicher hin. Wie schon im Kirchenflügel, so war es für die Handwerker auch hier nicht möglich, die alte Speicherkonstruktion einfach so zu entfernen. Sie bauten daher zuerst nur jeweils eine Decke aus, verbanden dann die Stiele mit einer Metallkonstruktion über zwei Geschosse miteinander, gossen dann die neue Beton- decke und die neuen Stützen und konnten erst dann die komplette Holzkonstruktion entfernen. So entstanden auf den zuvor vier Speichergeschossen vier große Ausstellungsräume, die allesamt über die gleiche Kubatur wie die Renaissanceräume verfügen, sich also in der Höhe jeweils über zwei ehemalige Speichergeschosse erstrecken. Zur Präsentation der Mineraliensammlung, die im Oktober 2008 eröffnet werden soll, bauten die Trockenbauer hier entsprechende Einbauten aus Metallunterkonstruktionen und Gipskartonplatten ein. Sämtliche Fußböden erhielten einen Gussasphaltestrich, alle Wände einen 5 cm dicken Wärmedämmputz. Die alten Speicherfenster wurden von der Tischlerei originalgetreu nachgebaut.
Fazit
Schloss Freudenstein verfügt durch die Speichernutzung über eine besondere Ge- schichte, die durch den Umbau nicht nur erhalten, sondern sogar verstärkt werden konnte. Insbesondere der Kirchenflügel ist architektonisch erstklassig gelungen.
von Collin Klostermeier, Münster/Westfalen